Der Ton macht die Musik
- neongrau design
- 2. Sept. 2024
- 6 Min. Lesezeit

Eine stabile Corporate Identity und ein funktionierendes Designkonzept werden mittlerweile als elementare Bestandteile eines erfolgreichen Unternehmens anerkannt. Der nächste Schritt auf der Agenda wäre die Corporate Language. Wir haben mal zusammengefasst, was das ist, wozu es das braucht und wie man sich dem Thema am besten nähert.
Kennen Sie Felix? Die Außenwerbung an der Bushaltestelle erinnert ihn just in diesem Moment daran, dass er seine Hausratversicherung schon längst mal auf einen aktuellen Stand bringen wollte. Eine Mammutaufgabe, denn er hat weder viel Wissen noch echtes Interesse an dem Thema. Aber was sein muss, muss sein. Er beginnt zu googeln, durchstöbert ein paar Websites. Ihm fällt auf: Ungeachtet des Angebots lesen sich die Webauftritte wie ein Gespräch. Professionell, versuchsweise herzlich und sensibel, in jedem Fall einfühlsam. Fakten sind dabei wichtig, aber leicht verständlich und sympathisch erklärt. Felix, der für sich ein Buch mit sieben Siegeln geöffnet hat, fällt es in diesem Umfeld leicht, klare Rückfragen zu formulieren, seine Unwissenheit gegenüber anderen einzugestehen. Die Art und Weise, wie mit ihm geredet wird, hat ihn überzeugt.
Oder nehmen wir eine Radiowerbung. Wir schalten das Gerät ein und erkennen unmittelbar anhand der Stimme und dem Akzent: Das ist eine IKEA-Werbung. Wir haben sofort den männlichen Sprecher im Ohr, der in sympathischer Du-Manie vor sich hinplappert. Das schwedische Möbelhaus ist das Vorzeigebeispiel, wenn es um Corporate Language geht. IKEA schafft es, sich allein durch die Unternehmenssprache ein Gesicht zu verleihen. Zu Zeiten von Podcasts und Sprachassistentinnen definitiv keine schlechte Ausgangsposition auf dem Markt.
Die Art und Weise, wie ein Mensch spricht, ist eines der prägnantesten Merkmale seiner Persönlichkeit. Warum sollte das nicht auch für Unternehmen und Brands gelten?
IKEA macht vor, was viele Marken für sich in der Zukunft nutzen könnten. Nennen Sie es, wie sie wollen: Corporate Language, Wording, Sprachstil. Die Quintessenz bleibt: Für die gesamte Kommunikation wird eine einheitliche Sprache verwendet, die sich auf die Unternehmenswerte stützt.

Was ist eine Corporate Language?
Die eigene Unternehmenssprache verstärkt auf verbaler Ebene, was das Design im visuellen Branding darstellt. Sie ist ein gleichbedeutender Teil der Unternehmensidentität – sowohl nach innen als auch nach außen. Der Sprachstil drückt auf einer einfachen, sehr niedrigschwelligen Ebene aus, wer Ihr Unternehmen ist, wofür es steht. Es ist ein sehr weiches, charakterformendes Element, welches durch den Einsatz bestimmter Wörter und Formulierungen praktische Anwendung findet.
Die Corporate Language gehört, genau wie das Corporate Design, zur Brand Identity eines Unternehmens. Die Notwendigkeit eines Designs ist allerdings schon allen bewusst. Höchste Zeit, sich tiefergehenden Themen zu widmen.
Wieso gerade jetzt?
Seien wir ehrlich: Die meisten Produkte und Dienstleistungen sind austauschbar. Und das nicht erst seit heute. Nutzungsversprechen und Features gleichen sich, weshalb die Sympathie der Kund:innen mit der Marke zunehmend eine Rolle bei der Entscheidungsfindung spielt. Oftmals ist ein Kauf größtenteils eine Bauchentscheidung – es muss sich gut und richtig anfühlen. Außerdem kommt man um Sprache nicht herum, sie ist ein Dauerbrenner, egal ob als Voice-Over im Video, als Smart Speaker oder als Broschürentext.
Identität lässt sich über die Sprache leicht vermitteln, denn sie ist unser erster Anhaltspunkt. Sei es auf der Tonspur oder in Textform. Mit Schlüsselwörtern und einem passenden Sprachstil, der das Selbstverständnis widerspiegelt, lesen Kund:innen schnell heraus, ob eine Marke zu ihnen passt.
Corporate Language ist also nicht nur ein nettes Accessoire, sondern eine schlichte Notwendigkeit. Und wer sich zukünftig von seinem Wettbewerb abheben und dem Kunden im Gedächtnis bleiben will, der muss sich verbal eine einprägsame Identität schaffen.
Na fein, für die großen Marken mag das zutreffen. Aber wieso sollte ein mittelständisches Unternehmen sich damit beschäftigen?
Hand auf’s Herz: Wer ist in Ihrem Haus für die Sprache verantwortlich, wer schreibt Texte für Blog, Flyer oder Broschüre, wer formuliert das Skript für das Imagevideo? Eine Person oder mehrere? Wirkt alles aus einem Guss? Würden Sie Ihr Unternehmen erkennen, auch wenn das Logo nicht auf dem Flyer abgedruckt wäre?

Die Antwort auf all diese Fragen ist die gleiche: Das Corporate Language Manual. Es gibt einen groben sprachlichen Rahmen vor und macht es möglich, dass selbst kleine Unternehmen konsistent ihre persönliche Stimme nach außen tragen können.
Ein durchdachtes Wording spart also Zeit und Ressourcen. Sind sich bspw. Abteilungen über Definitionen von Fachbegriffen nicht einig, kann die Festlegung innerhalb eines Manuals solche Unstimmigkeiten für die Zukunft ausräumen. Außerdem können die externen Dienstleistungen auf ein Minimum reduziert werden, da selbst ungeübte Mitarbeitende Texte verfassen lernen.
Und wer es schafft, auf allen Kanälen die gleiche Sprache zu sprechen, gewinnt das Vertrauen der potenziellen Kund:innen. Und das spielt für kleine und mittelständische Marken eine genauso große Rolle wie für weltweit agierende Konzerne.
Also ist es eine Sprachschablone?
Ein ganz klares Nein. Sprache ist und bleibt lebendig. Es gibt keinen universell einsetzbaren Textbaustein für alle Kommunikationsmittel. Das Sprachkonzept hilft jedoch dabei, eigene Texte im Hinblick auf den Unternehmenscharakter einzuschätzen und anzupassen.
So ein Manual bezieht deshalb alle Ebenen ein, bei denen die Corporate Language mündlich und schriftlich umgesetzt wird. Die konkreten Sprach- und Stilrichtlinien beschreiben die eigene, wiedererkennbare Ausdrucksweise für die gesamte Außen- und Innenkommunikation. Der Umfang und auch die Konkretisierung fällt ganz unterschiedlich aus.

Wie funktioniert das dann im Tagesgeschäft?
Im Manual werden die Unternehmenswerte, die Vision und die Mission noch einmal vorgestellt und in sprachliche Symbole und Eigenschaften übersetzt. Mithilfe dieser Einführung sollte der Texter vor dem Schreiben immer die Frage beantworten können: „Was ist die Geschichte der Marke?“. Die Antwort aus dem Konzeptpapier könnte einer Art Motto gleichen, was als Einstimmung auf die Persönlichkeit des Unternehmens herangezogen wird.
Danach wird das Ganze konkreter. In Form von Do’s and Dont’s werden die wichtigsten Fragen zu den unterschiedlichen Merkmalen geklärt. Diese kurzgefassten Vorgaben nutzen Texter:innen wie eine Art Checkliste im Prozess oder am Ende des Schreibens. Die Regeln sorgen dafür, dass die Verantwortlichen den richtigen Ton treffen und die falschen Wörter vermeiden. So kann bspw. im Manual festgelegt werden, dass englische Begriffe nicht Teil der Unternehmenssprache sind. Für das Wort „Googeln“ fänden die Copywriter:innen dann Beispiele wie „online recherchieren“ unter den Do’s and Dont’s.
Wichtig ist in jedem Fall, dass im Styleguide für die Sprache klar wird, wann welche Vorgaben angewendet werden und aus welchem Blickwinkel man die Marke gerade betrachtet. Eine Broschüre ist modern und vermittelt vorrangig den Unternehmenscharakter. Fachliche Ausarbeitungen wollen hingegen dem wissenden Zielpublikum die Fachexpertise unter Beweis stellen. Die textlichen Lösungen sind am Ende sehr unterschiedlich, können aber immer den Charakter der Marke widerspiegeln. Schließlich ist Sprache unglaublich vielfältig.
Mit dem Konzept wird für den Texter oder die Texterin deutlich, wie man die individuellen Eigenschaften der Marke auf die sprachliche Ebene bringt. Wer als Unternehmen bspw. für Schnelligkeit, Kraft und Fortschritt stehen will, sollte aktiv formulierte Sätze verwenden. Kurze, knackige Aneinanderreihungen ergeben einen zügigen Lesefluss und treiben voran.
Wie umfangreich muss das sein?
Das kann und muss jedes Unternehmen für sich entscheiden. Es ist genau dann richtig, wenn es für Sie funktioniert.
Wie umfangreich oder konkret das Manual ist, hat keinen Einfluss auf die Qualität der Corporate Language. Wer wenige Kanäle bedient, benötigt nur ein kurzes Dokument und kann hier aber dafür sehr konkret werden. Wichtig ist einfach, dass sich im Alltag alle Texter:innen damit wohlfühlen.
Sprache ist niemals ein abgeschlossenes Projekt. Sie ist lebendig und verändert sich tagtäglich.
Genauso soll auch das Dokument im Fluss bleiben. Es darf und soll sogar von Zeit zu Zeit überarbeitet, erweitert und konkretisiert werden. Oft kommt es auch unabhängig vom Unternehmen zu gesellschaftlichen Veränderungen. Das Gendern ist hier aktuell ein gutes Beispiel. Diese neuen Erkenntnisse verlangen geradezu die Anpassung der Sprache vieler Marken.

Steht das Manual erst einmal, empfiehlt sich in der Regel ein Workshop, damit am Ende alle Beteiligten das gleiche Verständnis der Corporate Language haben. Außerdem kann bei einem Workshop die Anwendung geübt werden. Gemeinsam werden Texte verfasst und im Hinblick auf die Corporate Language bewertet. Neue Mitarbeitende könnten beim Onboarding ebenfalls diesen Workshop durchlaufen, um direkt ein Gefühl für die Marke zu bekommen.
Nur wer weiß, wer er selbst ist, spricht immer auf die gleiche Art und Weise. Und nur dann nehmen wir unserem Gegenüber ab, dass sie oder er in keine Rolle schlüpft.
Dieses Prinzip können wir eins zu eins auf Unternehmen übertragen. Wiederholen sich die Werte über die gesamte Customer Journey hinweg, wird die Marke schnell wiedererkannt. Ändert ein Unternehmen dagegen häufig seine Persönlichkeit, muss der Hörer oder die Leserin zu lange überlegen und verliert das Interesse.
Okay, verstanden. Aber wie fängt man an?
Sie müssen sich als Marke zunächst mit der eigenen Identität auseinandersetzen und klar formulieren, für was Ihr Unternehmen steht. Nur dann kann der:die Nutzer:in es auch erkennen. Wer die Brand Identity für sich erarbeitet hat, kann sie mithilfe eines Manuals in eine sprachliche Ausdrucksweise übersetzen. Ein leichter Einstieg sind klar formulierte Botschaften, mit der Kund:innen das Unternehmen verbinden sollen. Auch die erwähnten Do’s and Dont’s helfen ganz zu Beginn dabei, unternehmensspezifische Formulierungen einzuführen.
Egal wie Sie an die Sache herangehen – ob professionelles Manual mit 100 Seiten oder ein kurzes Word-Dokument mit ein paar Textempfehlungen: Am Ende geht es nur darum, dass Sie Ihren richtigen Ton treffen und der Kunde Sie bei jeder Berührung mit der Marke sofort erkennt.